Führen ohne Ziele
„Es gibt nichts zu erreichen.
Es ist noch nie jemand angekommen.
Der Weg ist das Ziel.“
Das sind Erkenntnisse aus Weisheitslehren.
„Führen mit Zielen, Management by Objectives (MbO) funktioniert in unseren Unternehmen nicht.“
Das ist die Erfahrung der betroffenen Manager und Mitarbeiter.
Management by Objectives funktioniert nicht
Wie man liest haben große IT Unternehmen die Mitarbeiter-Jahresgespräche abgeschafft.
„MbO“ führt zu Frustration bei Mitarbeitern und Vorgesetzten, vor allem wenn es mit intranetbasierten Standard-Beurteilungssystemen – sogenanntem Performance Management - durchgeführt wird;
… und wenn dabei alles falsch gemacht wird, was man falsch machen kann:
- Die Ziele werden diktiert und nicht vereinbart.
- Bei den Zielen handelt es sich um Zahlen – Werte sogenannter KPIs (Key Performance Indicators), nicht um qualitative, inhaltlich beschriebene zu erreichende Zustände.
- Die Beurteilung wird per Workflow übermittelt und das Gespräch auf ein Minimum reduziert oder ganz weggelassen.
- Am Ende müssen die Beurteilungsergebnisse eine Normalverteilung ergeben – in jeder Organisationseinheit.
- Die Ergebnisse fließen in die Berechnung der variablen oder sogar der festen Vergütung der beurteilten Mitarbeiter ein.
- Die Zielerreichung gemäß Beurteilungssystem hat mit der Erreichung der Unternehmensziele nichts zu tun.
Seit Peter Drucker das MbO erfunden hat, haben Generationen von Möchtegern-Beratern und -Managern versucht, es zu pervertieren, und der Höhepunkt der Verhohnepiepelung dieses sinnvollen und zweckmäßigen Konzepts ist erreicht – ermöglicht durch die vielleicht sogar gut gemeinten IT-Systeme.
Exkurs: Agility / Agilität
Und dann gibt es jetzt noch die Agilität! Das ist seit einiger Zeit die erwünschte Management-Kompetenz schlechthin – seit Korn Ferry sie entdeckt hat. (Bis dahin war Agility nur ein Kriterium für Hundeprüfungen.) Agilität soll die Fähigkeit beschreiben, schnell aus Situationen zu lernen, Schlüsse zu ziehen und Handlungsweisen anzupassen. Agilität steht dabei im Gegensatz zu „Mastery“, und zwar laut Kozept auf einer Dimension im diametralen Gegensatz. Die Möglichkeit, das Agility und Mastery beide hoch ausgeprägt sind – als Anforderung und /oder als Persönlichkeitsmerkmal – sieht die Theorie nicht vor! Vielleicht hat sich jemand schon dieses Widersinns angenommen und das Konzept weiterentwickelt. (Tip: man muß nur Agility und Mastery als zwei unabhängige Dimensionen konstruieren.) Auf jeden Fall stellt die Betonung der Notwendigkeit maximaler Flexibilität und schneller Richtungsänderungen die derzeitigen MbO-Systeme mit Jahreszielen und eventuell einer vorgesehenen halbjährlichen Revision fundamental in Frage.
Höchste Zeit, sich über etwas Neues Gedanken zu machen.
Um die Abkehr von der aktuellen Praxis zu verdeutlichen, heißt der Arbeitstitel „Führen ohne Ziele“. Dabei bleiben Ziele selbstverständlich bedeutsam. Der Führungsprozeß muß jedoch von Grund auf neu gedacht und gestaltet werden.
Zentrale Idee – Kontext - Mission
Bei der Definition von Führung gehe ich von den alt bekannten Sätzen aus:
Führen heißt, Menschen zu etwas zu bewegen, was sie sonst nicht tun würden.
Führen heißt Komplexität reduzieren.
Führen heißt Fragen stellen.
Die Ausgangsfrage bei der Führung lautet für mich: Warum stehen Mitarbeiter morgens auf, gehen in die Firma und leisten mehr, als zur Vermeidung der Kündigung unbedingt erforderlich ist. (Die meisten Manager können diese Frage für ihre Mitarbeiter nicht beantworten.)
Als erstes braucht ein Unternehmen - nicht nur zur Personalführung - eine zentrale Idee. Das ist in dem Buch „Profit durch Profil“ von Dieter Heinrich, 1990, erschöpfend ausgeführt. Untertitel des Buchs: „Die zentrale Unternehmensidee: das Stärkste, was ein Unternehmen haben kann.“ Grundgedanke: eine gemeinsame und klare Vorstellung vom zu schaffenden Kundennutzen und über die Art und Weise, wie er zu erreichen ist.
Das Kontext-Konzept, das vom IAK Institut für angewandte Kreativität, Köln – vertreten wird, geht weiter und beinhaltet neben dem Unternehmenszweck seine Ziele und das „Spielfeld“, also den Rahmen, in dem sich die Unternehmensaktivitäten abspielen. Grundidee: Mitarbeiter (aller Ebenen, also auch Manager) lassen sich schwer damit motivieren, daß sie nur dazu da sind, das Vermögen des Firmeneigners oder der Aktionäre zu vergrößern.
Mission Statements haben viele Unternehmen. Sie sind langweilig und lösen keine Dynamik aus. Es sei denn, die beinhalten eine wirklich zentrale Idee und einen Unternehmenskontext.
Der Zweck, den die Zentrale Idee und der Kontext erfüllen sollen, ist mehrschichtig:
- Alle im Unternehmen sollen wissen, worum es geht und aus einem gemeinsamen Grundverständnis heraus handeln.
- Dadurch wird Kreativität und Initiative ausgelöst, immer größeren Kundennutzen zu schaffen.
- Dadurch, daß Richtung und „Leitplanken“ von allen verstanden und geteilt werden, ist viel weniger Aufwand für Anweisungen und Disziplinierung erforderlich.
- Die wahrgenommene Gemeinsamkeit überwindet Schranken zwischen Organisationseinheiten.
Kommunikation
Und jetzt kommen wir von den Inhalten und Konzepten zum Führen: Führen heißt kommunizieren. Und kommunizieren heißt nicht irgendwelche Sprechblasen absetzen, sondern sich ernsthaft und interessiert austauschen. Leute, die sich für ihre Mitarbeiter als Menschen und für Inhalt und Zweck der Arbeit nicht ernsthaft interessieren, sind keine Führungskräfte.
Wenn die zentrale Idee und der Kontext vom Unternehmensgründer vorgegeben sind, müssen sie durch persönliche Kommunikation vermittelt werden. Sofern die Zentrale Idee und der Kontext nicht vorhanden oder unklar sind, müssen sie erarbeitet werden – in Workshops mit möglichst breiter Beteiligung. Wenn die Unternehmensleitung die Festlegung alleine trifft, muß sie das Ergebnis um so besser und sensibler kommunizieren.
Zentrale Idee und Kontext sind auf alle Organisations- bzw. Funktionseinheiten zu adaptieren. Wirklich jeder im Unternehmen muß sich mit der Frage auseinandersetzen, was hat die Idee und der Kontext mit mir und meiner Arbeit zu tun, was ist mein Beitrag?
Die Vorstellung vom Unternehmen: Menschen, die gemeinsam etwas Unternehmen
Wenn man dieses Bild vom Unternehmen inhaliert, entwickelt sich das richtige Verständnis vom Führen und vom erforderlichen Führungsverhalten.
Der Führungsprozeß, die Führungsarbeit beim „Führen ohne Ziele“ besteht in dauernder, intensiver, persönlicher Kommunikation der Führungskraft mit dem Mitarbeiter. Eine hilfreiche Vorstellung: der Manager geht einen Weg und nimmt den Mitarbeiter mit.
(Das Gegenteil drückt der karikaturistische Spruch aus: Ich stehe hinter euch, damit ihr wißt, wo vorne ist.)
Handeln und Führen aus der Mitte
Der Unterschied zum Führen mit Zielen ist die Verschiebung der Konzentration auf Ziele hin zur Konzentration auf den Zweck, den Kundennutzen. Zur Erinnerung: der Zweck ist dauerhaft und beinhaltet den Grund, die Rechtfertigung für die Existenz des Unternehmens. Ein Ziel ist nach gegebener Zeit erreicht, ist damit gegenstandslos und wird dann meist sofort durch ein neues ersetzt.
Das nervöse, bisweilen neurotische „Verfolgen“ von Zielen mit den unmöglichsten Mitteln - oft zulasten anderer konfligierender Ziele - weicht dem überzeugten, sicheren Handeln zur Steigerung des Kundennutzens und zum nachhaltigen Ausbau der Existenzsicherung des eigenen Unternehmens.
Die richtige Einstellung:
- wir sind ständig unterwegs, und zwar auf dem richtigen Weg,
- an jedem Punkt des Weges, in jedem Augenblick, verwirklichen wir das Ziel, nämlich unsere Rolle zu spielen und unseren Job zu machen, und zwar immer besser, mit Überzeugung und Selbstbewußtsein.
Ein brauchbares Bild ist der fliegende Pfeil, der mit hoher Geschwindigkeit unterwegs ist, aber in sich ruht.
Wo bleiben die Ziele?
Profit ist kein Ziel!
Zur Planung von Produktion, Kosten, Kapazitäten und Ressourcen ist natürlich ein Mengen- und Zahlengerüst erforderlich. Die Anforderung an die Flexibilität der Planung ist bekanntlich größer geworden. Pläne sind meist nicht mehr als starre Jahrespläne sondern werden rollierend geführt und monatlich angepaßt. Genauso muß selbstverständlich das Management der Mitarbeiterziele funktionieren. Die Mehrung des Kundennutzens ist ja erfaßbar. Die Kriterien müssen qualitativer Natur sein und nicht nur Zahlen. Sinnvoll erscheinen Zielkorridore für viele Arten von Zielen. Wichtig ist, die Aktivität des Mitarbeiters zur Steigerung des Kundennutzens nicht einzuschränken, sondern ein Feld von Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen und Innovation zu befeuern.
Leistungsparameter (KPIs) sind selbstverständlich erforderlich, sind aber selbst keine Ziele, sondern Begleiterscheinungen der Erreichung oder Verfehlung inhaltlich qualitativer Ziele. Wenn das Ziel ist, von Frankfurt nach Berlin zu fahren, sind die KPIs die Positionsdaten von Frankfurt und Berlin, 6 Stunden Fahrt, 600 km, Richtung Nordost. Daneben sind KPIs sinnvoll und notwendig, die mit Zielen gar nicht oder nur bedingt zu tun haben: bearbeitete Vorgänge, verarbeitete Rechnungen, Anzahl der Lohnabrechnungen, besuchte Kunden.
Und die Bezahlung?
Mit der Bezahlung dürfen Mitarbeiterziele nichts zu tun haben!
„Mythos Motivation“
Reinhard Sprenger hat ausführlich dargestellt, daß Manager die Mitarbeiter schwer motivieren können, aber sehr wohl jede Menge Möglichkeiten zur Demotivation haben. Es widerspricht natürlich der Vorstellung vom freien Menschen und vom selbstbestimmten Mitarbeiter, wenn erst ein Vorgesetzter mit Maßnahmen der Bedrohung oder Bestechung kommen muß, um ihn zum richtigen Verhalten zu bewegen. Sehr wohl ist es die Aufgabe des Managers, das Handeln des Mitarbeiters in eine Richtung zu lenken und Ergebnisse zu erwirken. Das Mittel dazu heißt aber erstens Fragen – ja, Führen heißt Fragen stellen! - und zweitens Vereinbarungen treffen.
… und die Motivation muß aus der Arbeit selbst kommen!
Auf geht´s
Die Richtung heißt:
Vom Gehirnbesitzer zum Gehirnbenutzer.
Vom Abgestellten zum Angestellten.
Von der Organisation zum Organismus.