„There are no rules“ (Bruce Lee: Tao of Jeet Kune Do)
Für mich als Jugendlicher der 70er Jahre war Bruce Lee sicherlich das Idol, das uns zum Karate-Sport trieb. Ich hatte allerdings schon 1971 - vor dem ersten Bruce-Lee-Film in deutschen Kinos - mit dem Selbststudium angefangen. Ein Jahr später trat ich dann in einen Shotokan-Karate-Verein ein.
Liegestütze auf den Fäusten und Entengang … und dann Grundschule
Um Schläger und Angeber abzuschrecken, trainierten wir erst mal einige Monate Grundtechniken, nachdem jedes Training mit wenigstens einer halben Stunde Gymnastik begann: z.B. Liegestütze in jeder Form, vor allem auf den Fäusten, Dehnungsübungen, Kniebeugen mit einem anderen auf den Schultern, manchmal auch Zirkeltraining und im Sommer Waldläufe , selbstverständlich barfuß.
Traditionelles Karate – dann „Leicht“kontakt
Die Gürtelprüfungen bestanden damals - wie heute noch – aus den Disziplinen
Grundschule,
Partner- Zweikampf-Übungen und
Kata, also eine Vorführform, der Kampf gegen einen oder mehrere imaginäre/n Gegner.
Das wichtigste war aber der freie Kampf, der auch am meisten Spaß machte, aber auch die meisten Schmerzen verursachte. Es gab wenige ernste Verletzungen, aber ständig viele blaue Flecken. Letzteres, obwohl jede Technik vor dem Auftreffen am gegnerischen Körper abgestoppt werden mußte.
Um realistischer zu werden, gab es Mitte der 70er Jahre leichte Faustschützer. Am Körper sollte damit „kontrolliert“ getroffen werden, am Kopf wie gehabt mit Abstoppen.
In Amerika wurde dann das Vollkontakt-Karate erfunden, das natürlich viel spektakulärer war. In der „Karate Revue“ und im „Karate Journal“ wurden Bill Wallace, genannt Super Foot, Chuck Norris und Joe Lewis präsentiert – neue Idole in bunten Karate-Anzügen bzw. –Hosen.
In Deutschland paßte sich unser Verband – die Karate-Sektion im Deutschen Judo Bund, dann die DKU Deutsche Karate Union - schnell an und führte das Leicht- oder Semikontakt-Karate ein: Wir trugen dickere Hand- und Fußschützer, genannt Safe-T-s. Von da an wurde am Körper voll getroffen und am Kopf „kontrolliert“. Und es wurde drei mal zwei Minuten gekämpft und alle Treffer zusammnengezählt. Traditionell ist ein Kampf nach zwei Wertungstreffern oder einem „Punkt“, d.h. einem „tödlichen“ Treffer beendet. (Man sagte, so konnten auch Kettenraucher Karatemeister werden.) Wir brauchten also mehr boxerische Kondition, Ausdauer und Nehmerfähigkeiten. Eine weitere Neuerung war, daß die Turniere für verschiedene Stilarten gemeinsam durchgeführt wurden. Wir kämpften also auch gegen Taekwondo- und Kung Fu- Leute. Es gab daher viel mehr Bewegung und ein viel umfangreicheres Repertoire an Techniken zu sehen.
Und die Selbstverteidigung?
Da der sportliche Zweikampf im Vordergrund stand, spielte die Selbstverteidigung im Training eine untergeordnete Rolle. Prinzipiell kann jede Karate – Technik in der Selbstverteidigung angewendet werden, im Straßenkampf gelten aber keine Regeln, weshalb dieser ganz andere Anforderungen stellt: unfaire brutale Gegner einerseits und gefährlichere Karate – Techniken andererseits. Einmal pro Woche trainierten wir richtig intensiv Selbstverteidigung. Der Trainer betrieb auch Hapkido und brachte uns Techniken bei zum Nahkampf, Bodenkampf und Messerkampf. Zuerst mußten wir fallen lernen, was wir sonst im Karate überhaupt nicht brauchten.
40 Jahre Pause
Studium und Karriere hinderten mich dann 40 Jahre daran, regelmäßig im Verein zu trainieren. Während ich mich mit Fitnesstraining im Studio, Laufen und Radfahren körperlich gut weiterentwickelte, beobachtete ich nur sporadisch, wie es mit dem Karate weiterging:
Unter dem Dach des DKV vereinigten sich einige Verbände, v.a. DKU und DKB, die eine ständige Konkurrenz gepflegt hatten,
Der Freikampf wurde wieder traditioneller, zwar mit Schützern, aber im Shotokan-Stil,
Kata als Wettkampfdisziplin wurde viel bedeutsamer
und Leicht- und Voll-Kontakt-Karate ist jetzt nur noch Kickboxen.
Neustart mit 62
Im (Vor-) Ruhestand bin ich nun wieder eingestiegen ... und finde eine ganz andere Karate-Welt vor!
Im Vordergrund steht die Kampfkunst. Bunkai ist die Analyse der Katas in Hinblick auf die Anwendbarkeit in der Selbstverteidigung. Und da wird es für mich richtig spannendes Neuland: statt nur mit Schlägen und Tritten muß ich mich auch mit Griffen, Hebeln und Würfen beschäftigen. Das war früher überhaupt nicht Karate. Ganz früher jedoch wohl !
Und so tauche ich gerade ein in die jahrhundertelange Geschichte der Kampfkünste im fernen Osten – und Karate ist nicht nur körperliche Herausforderung, sondern auch ein zu erschließendes Wissensgebiet.