Meine Geschichte der Bundeswehr
„Die Bundeswehr ist entweder im Aufbau oder gerade in einer Krise.“ (Ausspruch meines Hörsaalleiters beim Reserveoffizierslehrgang Frühjahr 1978)
Ich stamme aus dem kalten Krieg
Während meiner Dienstzeit 1976 bis 1978 war die Bundeswehr klar und eindeutig auf die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Nato ausgerichtet. Die zu erwartende Front gegenüber den Warschauer-Pakt-Staaten war in Verteidigungsstreifen aufgeteilt, die den Armeen der Nato-Partner zugeteilt waren. Im Falle eines Angriffs waren daher mehrere Nato-Streitkräfte sofort betroffen und eingebunden.
Der Charakter der Bundeswehr als Verteidigungsstreitkraft war damit gegeben und gut an junge Soldaten zu vermitteln. Als Ausbilder habe ich – und meine Kameraden in unserer Einheit – Wert darauf gelegt, daß wir auf der Grundlage des Grundgesetzes (und selbstverständlich auch der anderen Gesetze) handelten. Unterricht über „Innere Führung und Recht“ nahm breiten Raum ein. Das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, war Thema im Unterricht und in vielen Gesprächen unter Kameraden.
Allerdings lebten wir im Bewußtsein, eine Muttersöhnchen-Armee zu sein, am Wochenende nach Hause zu fahren, und dort von unseren Müttern – den Bundes-Waschfrauen – die Wäsche waschen zu lassen.
Da die Flexible-Response-Strategie der Nato den Einsatz von Atom-Waffen vorsah, hatten wir Zweifel, im Verteidigungsfall etwas Wesentliches ausrichten zu können: in dem Fall war mit der totalen Zerstörung der Bundesrepublik zu rechnen. Unsere Funktion war eben hauptsächlich die Abschreckung.
Nach der Wende ist plötzlich alles anders
Oder: Bundeswehr trifft NVA in Somalia
Nach der Wiedervereinigung passierten Schlag auf Schlag grundlegende Veränderungen – ohne daß eine genügende öffentliche Diskussion oder zumindest spätere Aufarbeitung dazu stattfand:
Die NVA wurde integriert.
„Out of Area – Einsätze“ wurden legitimiert, als erstes in Somalia, zunächst ohne Kampfauftrag.
Die erste Kriegsteilnahme der Bundeswehr erfolgte 1999 im Kosovo-Krieg.
Als ehemaliger Ausbilder stellte ich mir zur NVA-Übernahme die Frage, wie man das in der Ausbildung verarbeiten kann, und wie man die Motivation der Soldaten auf beiden Seiten neu schaffen kann. Antworten oder Diskussionen darüber nahm ich nicht wahr.
Erlebte Geschichten dazu:
Der Ostdeutsche im Bierkeller
Anfang der 1990er Jahre traf ich in einem Brauereigewölbe eines Restaurants im Nürnberger Land einen Sachsen, der als Aussteller auf der Spielwarenmesse war. Er war so alt wie ich und hatte zur selben Zeit Wehrdienst geleistet wie ich. Wir mußten also feststellen, daß wir uns im Kriegsfall vielleicht gegenseitig erschossen hätten, anstatt jetzt gemütlich ein Bier zu trinken. Gemeinsam vermissten wir die breite öffentliche Aufarbeitung dieser Entwicklung.
MiGs über Sardinien
1993 Urlaub auf Sardinien: Auf einem Campingplatz befand sich eine Gruppe Bundeswehrsoldaten. Die meisten sprachen ostdeutsche Dialekte und unterhielten sich freudig über viele Reisen in andere Länder (die ihnen vor der Wende versagt waren). Als sie über Kampfflugzeuge am Himmel sprachen, sagte einer : „Das sind unsere MiGs.“ Stark untertrieben war das ein Aha-Erlebnis für mich - es krachte förmlich in meinem Weltbild: MiGs kannte ich bis dahin nur aus dem „Feindunterricht“.
Die jüngeren Reservisten erzählen von einer anderen Armee und vom Krieg
Im Lauf der 2000er Jahre lernte ich im Unternehmen und in Verbänden jüngere Reserve-Offiziere als Kollegen kennen. Auf meine interessierten bis neugierigen Fragen hin schilderten sie ihre Erfahrungen aus einer anderen Welt: Konzentration auf Auslandseinsätze, Vernachlässigung der restlichen Truppe, Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes.
Trostlosigkeit nach der Abschaffung der Wehrpflicht
Die wenigen Freiwilligen, die ich kenne, schildern mir eine Situation, die ich nur mit Orientierungslosigkeit bis Verwahrlosung bezeichnen kann. Das sind aber Einzelfall-Darstellungen, die hoffentlich nicht repräsentativ sind.
… und dann der Feldwebel am Dienstzeitende
Im Schützenverein kam ich vor kurzem mit einem Feldwebel ins Gespräch, der gerade die Bundeswehr verließ. Er sagte, er sei froh darüber, jetzt auszusteigen. Die Bundeswehr entwickle sich zur Söldnerarmee, die nur noch den Raubzügen der Amerikaner hinterherlief. Ein junger Mann, der dabeistand, sagte, alle Armeen seien doch Söldner-Armeen, schon immer. „Aber nicht die Bundeswehr!“ erwiderten der Feldwebel und ich wie aus einem Mund. Wir klärten ihn dann sehr bestimmt, aber sachlich und freundlich über den Charakter der Bundeswehr – Verteidigungsarmee, Parlamentsarmee, Staatsbürger in Uniform - nach unserem Verständnis auf .
Und nun?
Ich halte es für wichtig, endlich in der gesamten Gesellschaft und nicht nur in der Bundeswehr einen breiten Diskurs zu beginnen, um eine Rückbesinnung auf die Grundausrichtung der Bundeswehr zu bewirken, die sich dann natürlich weiterentwickeln und neu gestalten ließe. Die augenblickliche Neuausrichtung – zurück zur Landesverteidigung und Anpassung der Struktur und Ausrüstung – bietet doch eine günstige Gelegenheit dazu!
Und als praktischen Schritt in die richtige Richtung empfehle ich die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Form einer allgemeinen Dienstpflicht für alle.